Chartreux Cleo

Erinnerungen einer Züchterin aus den 60er Jahren

Pensylva Julia ist eigentlich eine BKH

Mein Briefwechsel mit Frau Vivat, bei dem ich immer wieder versuchte, sie dazu zu überreden, in ihren Erinnerungen und ihren Archiven nachzuforschen, um auf meine Fragen nach ihrer früheren Zeit als Züchterin von Chartreuxkatzen zu antworten, dauerte schon fast ein Jahr… Anfang April 2004 bekam ich endlich den lang ersehnten Anruf: Frau Vivat war bereit, mir alles zu erzählen, aber viel Zeit sei vergangen und in ihren Erinnerungen alles verschwommen…

Einige Tage später stand ich vor der Haustür eines kleinen Stadthäuschens im Zentrum von Clermont-Ferrand. Eine ältere Dame mit kurzen weißen Haaren öffnete mir mit einem netten Lächeln die Tür. Sie führte mich in ihr altbürgerlich eingerichtetes Wohnzimmer und bat mich, auf einem Stuhl am großen Esstisch Platz zu nehmen. Auf imposanten Möbeln standen überall Bilder von glücklichen, lächelnden Kindern und jungen Eltern. Zwei Stühle standen neben einem großen Heizkörper, darauf schliefen zwei Katzen: ein mächtiger, gestreifter Bauernkater und eine zierliche Birmakatze.
"Wie Sie sehen, es ist keine Chartreux mehr im Haus… und das schon seit vielen Jahren. Bei den Preisen heute könnte ich es mir sowieso nicht mehr mit meiner kleinen Rente leisten !"

Unser Gespräch beginnt… Ketty de Bertouget kam 1961 als erste Chartreux-Katze ins Haus von Frau Vivat. Sie kam aus einer Zucht des Massif Centrals, also ganz in der Nähe. Am Anfang sollte sie nur eine einfache Hauskatze sein. Aber bei den Vivats herrschte schon der Zuchtdrang (vorher hat man bereits Hunde gezüchtet) und es wurde zu einer Leidenschaft für die Chartreux. Zwischen Ende 1963 und Anfang 1964 expandierte Chatterie de Chantelauze. Weitere Chartreux kamen ins Haus, um Ketty Gesellschaft zu leisten. Würfe und Ausstellungen folgten. Frau Vivat scheute nicht davor zurück, ganz Frankreich und die Nachbarländer zu bereisen, um ihre Katzen auf Ausstellungen zu zeigen oder sich auf die Suche nach neuen Zuchtkatzen zu machen.

Sehr schnell bemerkte sie aber, dass es sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich war, eine "französische Chartreux" (mehrmals im Gespräch tauchte der Ausdruck auf…) zu finden, die mit ihren eigenen Katzen nicht engstens verwandt war. Alle Katzen, die sie aufspürte, waren entweder Geschwister, Halbgeschwister oder Vetter! Inzucht und deren Auswirkungen auf die Gesundheit und das Erscheinungsbild der Katzenrasse schienen unvermeidbar zu sein. Deshalb gab es schon bald Würfe mit den ersten missgebildeten Kitten. Es handelte sich vorwiegend um Knochenmissbildungen (Knickschwanz) und in geringerem Umfang um Missbildungen im Bereich der Verdauungsorgane. Die Anzahl der Kitten in den Würfen wurde geringer, aber auch die Katzen selbst wurden immer kleiner… Da es überall zu einem massiven Geburtenrate von missgebildeten Kitten kam und sich diese immer mehr beschleunigte, (Madame Vivat erinnerte sich sehr gut an einen Wurf, bei dem drei Kitten einen Knickschwanz hatten…), begannen die einzelnen Züchter jeweils für sich nach einer Lösung dieses Problems zu suchen. Heute noch bedauert Frau Vivat, dass sie von den „höheren Instanzen“ (aber gab es die?) überhaupt keine Unterstützung hatte und dass sie sich, wie viele andere Züchter dieser Zeit, mit dem Problem allein gelassen fühlte.

Jeder weiß heute, dass man damals mit Einkreuzungen anderer Rassen versuchte, "neues Blut" in die Rasse Chartreux zu bringen. Frau Vivat nennt als Rassen, die eingekreuzt wurden, die Britisch-Kurzhaar-Katze (die sie "englische Chartreux" nennt, weil er mit der "französischen" so viel Ähnlichkeit hatte, da die Englische damals noch nicht so sehr durch Einkreuzungen mit dem Perser modifiziert worden war), die blaue Perserkatze und die Rasse "Russisch Blau". Sie erinnert sich aber noch sehr gut an einen wunderschönen schwarzen Bauernkater mit goldenen Augen, den eine andere Züchterin - wahrscheinlich insgeheim - als Deckkater in die Zucht eingebracht hat…

Der Retter der Chatterie de Chantelauze hieß… Bonaventura Beau Brummel. Bei der Erinnerung an diesen Kater erhellen sich die Augen von Frau Vivat mit einem feuchten Schimmer. Sie benötigte einen längeren Briefwechsel mit der netten Frau Savage, einer englischen Züchterin aus Ilford, bis sie sich zu diesem großen Schritt entschließen konnte, der einen eigenen englischen Kater in ihre Zucht brachte. Sie beauftragte eine Führungskraft des Pariser Cat Clubs, die in England zu tun hatte, Ihren Kater zu holen. Beim ersten Blick auf Bonaventura Beau Brummel war ihr bewusst, dass sie Recht gehabt hatte: der schöne Kater hatte lange, starke Beine, einen kräftigen Körperbau, schön stehende mittelgrosse Ohren, eine lange und kräftige Nase und kupfergoldene Augen…und vor allem eine gute Gesundheit!
Auf meine "unschuldige" Frage: "Aber es war doch keine wirkliche Chartreux! Wie konnten Sie denn sicher sein, dass Sie mit diesem Kater bei der Rasse Chartreux keinen Schaden anrichten würden?" antwortet sie schwungvoll: " Es war aber eine Chartreux! Eine englische zwar, aber eine Chartreux! Und wissen Sie: außer dass er mir immer wundervolle, gesunde Kitten gebracht hat, hat mein Beau auch eine tolle Karriere in Austellungen gemacht…als Chartreux, und keiner hat gefragt, ob englisch oder französisch!"

Was Beau Brummel und alle anderen blauen Briten, die in Frankreich in diesen Jahren zur Rettung der französischen Chartreux eingeführt wurden, von diesen unterschied, das war, dass sie größer, langbeiniger waren und ausgestattet mit einer unübertrefflichen Fellqualität. Die Kleinwüchsigkeit und Kurzbeinigkeit der "französischen" Chartreux der 60er Jahre lag sicher daran, dass die letzten Generationen von Inzucht beinträchtigt waren. Auch sah der Kopf der Briten überhaupt nicht so aus, wie bei den heutigen BKH, ganz im Gegenteil dazu war die Nase recht lang und gerade. Darum ist es doch verständlich und natürlich, dass man bei Britenzüchtern in England neue Zuchtkatzen holte, um die französische Chartreux zu retten…

Bonaventura Beau Brummel blieb die einzige englische Chartreux, die in die Zucht Chantelauze eingeführt wurde. Er "reichte aus", um in dieser Zucht eine zahlreiche Nachkommenschaft zu sichern. Einige dieser Nachkommen sind berühmt geworden und haben eine brillante Karriere als Ausstellungs- und Zuchtkatze gemacht. Aber viel zahlreicher waren die "Chantelauze-Katzen", die als glückliche Hauskatzen in der Anonymität beim Liebhaber gelandet sind und dort ein viel schöneres Leben gehabt haben… Übrigens ist es Frau Vivat oft nicht schwergefallen, ihre wunderschönen Chartreuxkatzen billig und ohne Pedigree an Leute zu verkaufen, die es sich sonst eine Chartreux nicht hätten leisten können. Für sie zählte das Glück ihrer Katzen mehr, als das Renommee ihrer Zucht…

Wegen eines dieser Kitten, das sie extrem billig und ohne Stammbaum an jemanden verkauft hatte, der ihre Nächstenliebe meisterlich hatte anregen können, beschloss Frau Vivat schließlich, mit der Chartreuxzucht endgültig aufzuhören. Sie hatte in der Folge per Zufall erfahren, dass von dieser unehrlichen Person diese Katze als Zuchtkatze benutzt wurde, nachdem der Cat Club (wahrscheinlich durch eine noch unehrlichere Person) ihm einen Pedigree ausgestellt hatte, ohne Genehmigung oder Rückfrage bei der Züchterin. Auf diesem Weg bekam die günstig erworbene Katze die zur Zucht erforderlichen Papiere, ausgestellt auf den berühmten Namen "Chantelauze" aber erteilt ohne Zustimmung des Züchters. Von einer solchen Unverschämtheit angewidert, die sie als wahren Verrat empfand, verließ Frau Vivat sofort den Club und gab die Zucht auf.

Es sind die Erinnerungen, die bei Frau Vivat ihre einzigartigen Chartreux wieder lebendig machen, genauso als wenn diese Katzen noch heute bei ihr leben würden. Mit meinen Fragen durfte ich an diesen Erinnerungen kratzen und die Gedanken an frühere Zeiten wieder an die Oberfläche bringen. "Bitte! Vergebt mir, ihr schönen Katzen von Chantelauze! … Ketty, Beau Brummel, Orka, Mirabelle, Jéricho, Joyau oder Tristan, und alle anderen, schlaft schnell wieder ein in den Träumen der Vergangenheit!"… Wir sehen euch in allen Stammbäumen unserer heutigen Katzen. Wir wissen genau, was wir euch zu verdanken haben, ihr schönen Miezen. Und was wir der Züchterin zu verdanken haben, die daran mitgeholfen hat.

Frau Vivat, Danke!

Claire Luciano